Die moderne Androgentherapie wurde im letzten Jahrhundert durch den französischen Physiologen und Neurologen Charles Edouard Brown-Sequard (1817 -1894) eingeleitet. Nachdem er mit 72 Jahren deutliche Anzeichen des Alterns an sich selbst feststellte, führte er 1889 erstmals eine subkutane Injektion von Tierhodenextrakt im Selbstversuch durch. Zwar umging er damit das Problem einer ungenügenden Hormonresorption und des First-pass-Effekts bei oraler Anwendung, die von ihm verabreichte Testosteronmenge lag dennoch weit unter der nötigen therapeutischen Dosis, so dass die von ihm beschriebene Verbesserung seiner Körperfunktionen nur einem Placeboeffekt zugeschrieben werden kann [5]. Auch der Wiener Physiologe Eugen Steinach (1861-1944) beschäftigte sich seit 1894 mit der hormonellen Funktion der Gonaden und führte u. a. zahlreiche Hodentransplantationen im Tierexperiment durch. Weltberühmt wurde er jedoch durch seine Theorie der „autoplastischen Altersbekämpfung“. Er nahm an, dass durch operative Unterbindung der Samenwege nach Versiegen der sekretorischen Leistung der Gonaden eine vermehrte inkretorische Hormonproduktion stattfände. Mit seinen Theorien erlangte er große Popularität und löste in den 20er-Jahren eine regelrechte Vasektomiewelle aus [18]. Zu dieser Zeit führte der in Paris lebende russische Arzt Serge Voronoff (1866 -1951) Transplantationen von Gewebe aus Affenhoden in menschliche Keimdrüsen durch. Bereits nach 5 Jahren hatte er diesen Eingriff an 300 Patienten aus Gründen der Verjüngung vorgenommen [20]. Mit der Einführung der künstlichen Synthese von Testosteron 1935 wurden diese fragwürdigen operativen Behandlungen zur Verjüngung des Körpers und Steigerung der Vita sexualis endgültig obsolet.
Die Androgenproduktion und -freisetzung erfolgt zu über 95 % in den Leydig-Zellen des Hodenparenchyms in Form von Testosteron und obliegt der Steuerung durch das pulsatil in der Hypophyse freigesetzte luteinisierende Hormon (LH). Diese zirkadiane Rhythmik hat ihren Höhepunkt in den Morgenstunden, weswegen eine Androgenbestimmung im Serum immer zu diesem Zeitpunkt erfolgen sollte. In der Blutbahn liegen nur 2 % des Testosterons in freier Form vor; 44 % sind an das sexualhormonbindende Globulin (SHBG) und 54 % an Albumin gebunden [4]. Entscheidend für die periphere Wirkung am Rezeptor des Erfolgsorgans ist zumeist die Umwandlung des Testosterons in die aktive Form als Dihydrotestosteron (DHT).
Das Wirkungsspektrum der Androgene zeigt eine weite Spannbreite von psychischen Faktoren (Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Stimmung) sowie somatischen Effekten (z. B. an der Körpermuskulatur, Fettverteilung, Knochendichte oder Körperbehaarung). Bezüglich der Sexualfunktionen werden Libido, Erektionsfähigkeit, Spermiogenese und Funktion der akzessorischen Geschlechtsdrüsen, Prostata und Samenblasen, beeinflusst. Für die regelrechte Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane und deren Funktion ist die Anwesenheit der Androgene bereits intrauterin und bis zum Ende der Pubertät obligat. Ein Hormonmangel oder Defekt während dieser Phase führt zu Fehlanlage oder irreversiblem Funktionsverlust in diesem Bereich. Für den geschlechtsreifen Mann sind die Androgene dann zur Aufrechterhaltung dieser Funktionen notwendig. Die Erektionsfähigkeit wird hierbei sowohl über zentrale als auch über periphere Effekte beeinflusst. Im Hypothalamus und im limbischen System konnten für Testosteron z. B. eine aktivierende Wirkung auf das sexuell stimulierende dopaminerge System und ein hemmender Einfluss auf das inhibitorische serotinerge System nachgewiesen werden [8]. Diese Mechanismen sind v. a. für eine ungebrochene Libido von Bedeutung. Peripher bestehen Angriffsorte an proerektilen postganglionären parasympathischen Neuronen [9] und an Androgenrezeptoren im Corpus cavernosum penis selbst [16,19]. Die genaue Bedeutung dieser unterschiedlichen Wirkorte ist bisher nicht eindeutig geklärt und z. T. nur im Tiermodell nachgewiesen. Von besonderer Bedeutung für die Erektilität scheint jedoch die testosteronabhängige Modulation von Erregungsausbreitungen über das autonome Nervensystem und der daran beteiligten Neurotransmittersysteme zu sein [1,9,12]. Für Androgenrezeptoren im Schwellkörpergewebe selbst steht fest, dass sie vor der Pubertät in größerer Dichte vorliegen und somit für die regelrechte Gewebeentwicklung von wesentlicher Bedeutung sein dürften. Im geschlechtsreifen Alter ist diese Rezeptorendichte jedoch deutlich reduziert [16], was ihre Bedeutung unklar erscheinen lässt. In Untersuchungen an der Ratte konnte jedoch nachgewiesen werden, dass Androgenentzug zum programmierten Zelltod (Apoptose) des Schwellkörpergewebes führt [17]. Sollten diese experimentellen Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sein, was anzunehmen ist, so könnte bei Patienten mit manifestem Testosterondefizit in der speziellen Diagnostik eine neurogene und eine kavernös-myopathische Ätiologie festgestellt werden. Klinische Erfahrungen zeigen, dass chirurgische oder chemische Kastration nicht obligat zu einem totalen Verlust der Erektionsfähigkeit führt [1, 6]. Daneben führt die Androgensubstitution bei Hypogonadismus zwar zu einer Steigerung der Libido und einer häufigeren Frequenz von nächtlichen Erektionen, das Auftreten von visuell induzierten Erektionen wird jedoch nicht gesteigert [1,6,14]. Diese Sachverhalte machen klar, dass nicht alle für die Erektilität wichtigen Mechanismen einer Hormonabhängigkeit unterworfen sind.
Das klinische Erscheinungsbild eines Androgenmangels oder Hypogonadismus hängt stark vom Ausmaß des Hormondefizits und dem Zeitpunkt des Auftretens ab. Schwerwiegende oder angeborene Störungen lassen sich bereits anamnestisch eruieren, gehen mit typischen somatischen Veränderungen einher und werden nicht primär durch eine Erektionsstörung — Erektile Dysfunktion klinisch auffällig. In diesen Fällen ist die spezielle Diagnostik und möglichst kausale Behandlung einzuleiten, auf die hier im Einzelnen nicht näher eingegangen werden soll.
Neben der Anamneseerhebung und der körperlichen Untersuchung stellt sich immer wieder die Frage, welche endokrinen Laborparameter in der Routineabklärung der erektilen Dysfunktion notwendig sind [13]. Als erste Screeninguntersuchung kann hierbei unter Berücksichtigung der Kosteneffektivität nur die Bestimmung des Gesamttestosterons in den Morgenstunden empfohlen werden [4]. Einige Autoren sehen einen Vorteil in der Bestimmung des freien Testosterons, da nur dieses biologisch aktiv ist und bei Störungen der Proteinbindung (SHBG, Albumin) das Gesamttestosteron allein nicht aussagekräftig ist [4, 11]. Erst wenn sich bei der wiederholten Testosteronbestimmung erniedrigte Werte zeigen oder der Patient schon zuvor anamnestisch eine reduzierte Libido angibt, sollte die komplette endokrinologische Diagnostik mit LH, FSH und Prolaktin durchgeführt werden. Hierdurch kann dann erst zwischen einem hypergonadotropem Hypogonadismus, also einem Defekt der Androgenproduktion im Endorgan Hoden (z. B. nach Orchitis, Bestrahlung oder kongenitaler Störung), oder einem hypogonadotropem Hypogonadismus und damit einer übergeordneten Störung unterschieden werden. Auch eine Hyperprolaktinämie, ob nun durch einen Hypophysenprozess ausgelöst oder, was wesentlich häufiger der Fall ist, durch Medikamente oder Stress induziert, wird dann erkannt. Bei einer Prolaktinstörung geben die Patienten zudem oft eine Libidostörung an.
Zu sekundären Störungen des Androgenstoffwechsels und somit auch Einschränkung der sexuellen Funktion kann es aber v. a. bei Schilddrüsenerkrankungen (sowohl Hyper- als auch Hypothyreoidismus) und allgemeinen Stresssituationen kommen. In diesen Fällen ist die Behandlung der auslösenden Noxe vorrangig und eine alleinige Androgensubstitution ohne Erfolg.
Umstritten ist die Androgensubstitution zur Behandlung einer Erektionsstörung bei älteren Männern mit mäßiger bis grenzwertiger Testosteronerniedrigung, unter Umständen in Verbindung mit weiteren andropausalen Symptomen [10]. Dies ist in den Komplex des männlichen Klimakteriums, neuerdings auch PADAM („partial androgen deficiency of aging male“) genannt, einzuordnen. Es konnte bisher nicht geklärt werden, ob die Ursache in der Hypophyse, den Gonaden oder z. B. einer veränderten Hormonempfindlichkeit der Erfolgsorgane liegt. Der therapeutische Nutzen einer Testosteronbehandlung ist hier erst noch in größeren Studien nachzuweisen; auf jeden Fall sollten gerade bei diesen Patienten die möglichen Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System und die Prostata beachtet werden. Da in der Regel noch eine eigene Androgenproduktion besteht, ist eine hoch dosierte Substitution nicht nötig, so dass die orale oder trans dermale Applikation als geeignet anzusehen ist.
Zumeist wird eine Behandlung bei älteren Männern mit andropausalen Symptomen und leicht erniedrigten Testosteronwerten durchgeführt. Gerade in dieser Altersgruppe muss die Wirkung der Androgene auf das kardiovaskuläre System sowie auf die Prostata berücksichtigt werden.
Durch Veränderungen des Blutlipidstoffwechsels, Induzierung einer Insulinresistenz und vasokonstriktorische Eigenschaften können Androgene die Rate von kardiovaskulären Zwischenfällen erhöhen [10]. Eine manifeste Herzinsuffizienz oder andere relevante kardiale Risikofaktoren gelten daher als absolute bzw. relative Kontraindikation.
Für die regelrechte Entwicklung der Prostata ist die Gegenwart von Androgenen obligat. Durch die Hormongabe bei Hypogonadismus wird eine unterentwickelte Drüse auf ihr Normalvolumen vergrößert und dadurch auch der PSA-Wert in den Normbereich angehoben [3]. Die gehäufte Ausbildung einer benignen Prostatahyperplasie konnte dabei auch unter Langzeitsubstitution nicht beobachtet werden. Auch bei Patienten ohne Hypogonadismus kam es nur zu minimaler Zunahme des Prostatavolumens bzw. PSA -Wertes [10].
Von großer Bedeutung ist hingegen die Problematik des Prostatakarzinoms. Liegt ein solches in einem klinischen Stadium vor, so ist z. Z. nicht ausgeschlossen, dass durch eine externe Testosterongabe ein Wachstum und somit eine Metastasierung stimuliert werden kann. Hieraus resultiert, dass vor und unter jeder Androgenbehandlung ein Prostatakarzinom mittels rektaler Untersuchung und PSA ausgeschlossen werden muss. Ob ein primär latentes Karzinom durch langfristige Androgengabe in ein klinisches Stadium überführt werden kann, ist bis dato nicht nachgewiesen [10]. Die Induzierung einer malignen Transformation in einer benignen Drüse erscheint als extrem unwahrscheinlich.
Bei hypogonadalen Patienten konnte nachgewiesen werden, dass unter der Testosteronsubstitution eine deutliche Zunahme der Knochendichte zu verzeichnen ist und somit die Frakturgefährdung reduziert ist [7]. Inwieweit dieser Effekt auch im übrigen Patientengut eine Rolle spielt, ist bisher nicht eindeutig belegt [10].
Den oralen Testosteronderivaten Methyltestosteron und Fluoxymesteron konnte eine Hepatotoxizität nachgewiesen werden, weswegen diese methylierten Substanzen nicht mehr auf dem deutschen Markt sind. Die derzeit im Handel verbreiteten Androgene, insbesondere das oral applizierte Testosteron Undecanoat und Mesterolon, haben noch kein leberschädigendes Potenzial gezeigt.
|
|
|