Bei erektilen Dysfunktionen, die ganz oder überwiegend auf psychischen und/oder partnerschaftlichen Faktoren beruhen, ist die Sexualpsychotherapie die Behandlungsmethode der Wahl. Sie stellt — bei psychogenen Erektionsstörungen — eine der wenigen kausalen Therapiemöglichkeiten dar, über die wir im Bereich der Erektionsstörungen überhaupt verfügen. Für die Psychotherapie der gesamten sexuellen Funktionsstörungen hat sich der Begriff Sexualtherapie eingebürgert, mit dem ein Therapieansatz und ein Bündel an Therapietechniken bezeichnet werden, die maßgeblich auf der Pionierarbeit von Masters und Johnson beruhen [24], seitdem aber eine Reihe von Modifikationen und Ergänzungen erfahren haben [2, 12, 13, 27].
Mit der von Masters und Johnson entworfenen eklektischen Rezeptur waren bei den bis dahin als psychotherapeutisch kaum beeinflussbar geltenden sexuellen Funktionsstörungen erstmals gute Erfolgsquoten möglich. Da in der klinischen Praxis heute neben der Sexualtherapie weder die Verhaltenstherapie noch die Psychoanalyse als Monoverfahren nennenswerte Bedeutung haben, wird sich dieser Beitrag allein auf die Sexualtherapie konzentrieren.
Keineswegs jeder Patient mit einer psychogenen Erektionsstörung benötigt eine intensivere Psychosexualtherapie, da sich weniger schwerwiegende Verursachungsfaktoren häufig bereits durch wenige Beratungsgespräche günstig beeinflussen lassen. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, dass praktisch jeder erektionsgestörte Mann, unabhängig von den Ursachen seiner Erektionsproblematik, von einer kompetenten Sexualberatung profitieren kann. Fast in jedem Fall führt eine wie auch immer verursachte erektile Dysfunktion reaktiv zu erheblichen intrapsychischen und partnerschaftlichen Belastungen, nicht selten sogar zu krankheitswertigen psychischen oder körperlichen Folgeproblemen. Diese für erektile Dysfunktionen so typische Verquickung von primären Ursachen und sekundären Auswirkungen lässt sich oftmals nicht durch eine somatische Behandlung allein auflösen.
So zeigen etwa die internationalen Erfahrungen mit der intrakavernösen Selbstinjektionstherapie, dass die mit dieser Methode mögliche zuverlässige Herstellung von Erektionen die durch die Erektionsstörung entstandenen Folgeprobleme (aber auch die zugrundeliegenden Konflikte) in vielen Fällen nicht auflösen konnte und es zu Behandlungsabbrüchen kam, da die letztlich von allen Patienten angestrebte sexuelle Zufriedenheit und Befriedigung sich nicht einstellte.
Es gibt somit gute Gründe, den Stellenwert der Sexualberatung im Behandlungsspektrum erektiler Dysfunktionen hoch anzusetzen. Dabei gibt es keine klare Grenzlinie zwischen Sexualberatung und -therapie, da in der Praxis die Übergänge fließend sind und von den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Patienten abhängen. Keineswegs gerechtfertigt ist es, Sexualberatung als mehr oder minder wertbegrenzte Schlichtform der Sexualtherapie anzusehen, als Notbehelf, für dessen Ausübung es keine besonderen Regeln und keine speziellen Kompetenzen braucht. Demgegenüber hat Langer eindringlich darauf hingewiesen [17,18], dass Sexualberatung genuines psychotherapeutisches Handeln ist und eine Reihe von Voraussetzungen seitens des Beraters beschrieben, die heute noch gültig sind.
Nach unseren eigenen Erfahrungen erfordert kompetente Sexualberatung ein hohes Maß an psychotherapeutischen Fertigkeiten, an Flexibilität und Einfallsreichtum und an den entsprechenden sexual medizinischen Kenntnissen. Eine so verstandene Sexualberatung ist gleichsam eine verdichtete und sehr kompakte Form der Sexualtherapie und muss wie diese gelernt sein. Eine gute Beratung erfordert ein beträchtliches Maß an therapeutischem Geschick, Einfühlungsvermögen sowie an Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit, um in der zur Verfügung stehenden Zeit eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen, die die Vermittlung von Informationen, das Ansprechen von Konflikten und ursächlichen Faktoren sowie vorgeschlagene korrigierende Verhaltensanleitungen in einer Weise möglich werden lässt, die von dem Patienten oder dem Paar auch akzeptiert und angenommen werden kann. Wir betonen diese Gesichtspunkte hier nicht, um interessierte und engagierte Kollegen von der Ausübung von Sexualberatung abzuschrecken, sondern um einige verzerrte Ansichten zu korrigieren.
Sexualberatung darf nicht verwechselt werden mit der Offenheit für psychosoziale Aspekte von Erektionsstörungen und deren adäquater Berücksichtigung in (primär somatisch orientierter) Diagnostik und Behandlung, deren Wichtigkeit wir immer wieder betont haben und die u. E. unerlässlich ist, um zu einer Therapie zu finden, die dem Patienten und seiner individuellen Sexualberatung und Sexualtherapie bei erektilen Dysfunktionen gerecht wird. Wer eine weitergehende Sexualberatung machen will, benötigt diese Grundeinstellung, eine Grundausbildung in Psychotherapie/Psychosomatik und nach Möglichkeit eine spezielle sexual medizinische Weiterbildung (s. Kap. 3.2).
Die Praxis der Sexualberatung besteht im Wesentlichen in einer Kombination der Vorgehensweisen, die wir im Kapitel über die psychologische Diagnostik — speziell zur Gestaltung des Erstgesprächs — beschrieben haben (s. unter 3.2), mit den Prinzipien der Sexualtherapie, denen wir uns jetzt zuwenden wollen.
Das wesentliche Merkmal der Sexualtherapie besteht in der Integration von systematisch aufgebauten, therapeutisch strukturierten und angeleiteten sexuellen Erfahrungen mit der psychotherapeutischen Bearbeitung der intrapsychischen und partnerschaftlichen Verursachungsdimensionen der sexuellen Störung. Sie verfolgt das psychotherapeutische Grundprinzip der Veränderung durch korrigierende emotionale Erlebnisse und setzt dafür neben einem variablen und flexiblen psychotherapeutischen „Standardinventar“ ein bewährtes Repertoire von Interventionen und Verhaltensanleitungen ein.
Diese weithin populär gewordenen sexual therapeutischen Hausaufgaben oder Übungen dienen als Katalysator der korrigierenden emotionalen Erfahrungen und erfüllen darüber hinaus vielfältige therapeutische Funktionen. So sollen sie dem Patienten(paar) einen neuen Zugang zu einem von Leistungsdruck, Verkrampfung und Versagensängsten befreiten, lustvoll-zärtlichen Umgang mit Körperlichkeit und Sexualität eröffnen und sind von eminenter Bedeutung für den diagnostischen und therapeutischen Prozess, weil sie fast immer die entscheidende Dynamik der sexuellen Störung offenlegen und für die therapeutische Bearbeitung zugänglich machen. Durch die direkte körperliche Erfahrung wird die sexuelle Problematik mit ihren innerseelischen und paarbezogenen Dimensionen oft viel klarer und unmittelbarer für die Therapie verfügbar als durch jede noch so gründliche Anamnese oder verbale Intervention.
Wichtig ist jedoch, diese Übungen, die vom Patienten(paar) zwischen den Therapiesitzungen zu Hause durchgeführt werden, nicht schon mit der Sexualtherapie gleichzusetzen, wie es häufig in der Laienpresse und in Selbsthilfeanleitungen, bisweilen aber auch von Sexualtherapeuten selbst vertreten wurde. Der praktische Einsatz der Verhaltensanleitungen bei erektilen Dysfunktionen wird unten ausführlicher dargestellt.
Der Grundansatz der Sexualtherapie ist Erfahrung orientiert, zielgerichtet und zeitbegrenzt. Entsprechend dem Konzept von Kaplan [12, 13] werden — nach einer gründlichen Diagnostik und funktionalen Bedingungsanalyse (s. Kap. 3.2) — zunächst die Faktoren therapeutisch bearbeitet, die unmittelbar, während des sexuellen Reaktionsablaufs zur Manifestation der sexuellen Störung führen. Fast immer sind dabei Versagensängste, negative Erwartungen, Leistungsdruck, ablenkende Gedanken, Selbstbeobachtung, ungünstige situative Bedingungen und destruktive Paarinteraktionen entscheidend beteiligt. Unmittelbar bedeutet dabei im übrigen keineswegs leichtgradig oder oberflächlich, sondern kennzeichnet lediglich den Umstand, dass diese Faktoren direkt pathogenetisch wirken, als Endglieder einer ganz verschieden langen Verursachungskette. Nur wenn es gelingt, die unmittelbar wirkenden Faktoren günstig zu beeinflussen, kann die sexuelle Problematik verbessert werden. Inwieweit dies möglich ist, ist abhängig von den intrapsychischen und/oder paar dynamischen Konflikten, die der Sexualstörung zugrunde liegen, und — oft noch stärker — von der funktionalen Bedeutung des Symptoms für den Patienten selbst und die Partnerschaft.
Ein alter Leitsatz der Sexualtherapie besagt, dass nicht jede sexuelle Funktionsstörung auf derart tiefer liegenden Faktoren beruht, sondern dass es sexuelle Störungen gibt, die tatsächlich eher „oberflächlich“ verursacht sind — wenn etwa nach einem einmaligen Alkohol —, stress- oder krankheitsbedingten Rückgang der Erektion durch die oben aufgeführten Mechanismen eine Selbstverstärkung und Chronifizierung eintritt.
Die klinische Erfahrung zeigt allerdings, dass die meisten Männer mit einer derartigen Erfahrung mehr oder weniger leicht fertig werden, es zur Ausbildung einer Funktionsstörung also doch wieder nur kommt, wenn bestimmte Rahmenbedingungen existieren, die eine Störungsentstehung zulassen.
Diese simple Überlegung relativiert zwar die Annahme einer „oberflächlichen“ Verursachung sexueller Störungen, doch es bleibt festzuhalten, dass tatsächlich eine erhebliche Bandbreite bezüglich der Verwurzelung bzw. der „Tiefe“ der ursächlichen Faktoren existiert. Es ist ein großer Vorteil des sexual therapeutischen Behandlungsformats, sich diesem Umstand flexibel anpassen zu können.
Diese flexible Anpassungsfähigkeit an die individuellen Gegebenheiten der Störung drückt sich in einem weiteren Leitsatz der Sexualtherapie aus, der besagt, dass grundsätzlich immer an den unmittelbar wirksamen pathogenetischen Faktoren angesetzt wird. Nur wenn die entsprechenden Interventionen und Behandlungsschritte nicht ausreichen bzw. auf Widerstände und Hemmnisse stoßen, die einer Symptomverbesserung im Wege stehen, muss mehr „in die Tiefe“ gearbeitet werden. Inwieweit dies notwendig wird, lässt sich am Anfang einer Behandlung oft nicht abschätzen, ein Umstand, der vom Therapeuten ein waches Auge und weitreichende psychotherapeutische Kompetenzen erfordert, um mit dem sich oft — vor allem im paartherapeutischen Setting — dynamisch entwickelnden Therapiegeschehen umgehen zu können.
Das Basisvorgehen der Sexualtherapie in ihrer Kombination von verhaltensorientierten und aufdeckenden, konfliktbearbeitenden Elementen lässt sich schematisch so darstellen: Der Vorgabe einer für die individuelle Problematik angemessenen Verhaltensanleitung und ihrer praktischen Umsetzung folgt die Analyse der Erfahrungen des Paares bzw. des Patienten, in der die Hindernisse und unmittelbaren Ursachen der Störung fokussiert werden sollten. Der entscheidende psychotherapeutische Schritt besteht dann in der Hilfestellung bei der Modifizierung bzw. Reduzierung dieser Hindernisse, bevor die nächste Verhaltensanleitung gegeben werden kann. Von diesem Hauptweg zweigen zahlreiche Seitenwege ab, die u. U. spezifische Interventionen notwendig machen.
In der Praxis umfasst die Sexualtherapie eine Reihe von Wirkfaktoren, darunter verhaltensmodifizierende Komponenten, die vor allem in den „Übungen“ zur Anwendung kommen, ein gezieltes Einwirken auf Kommunikationsstrukturen, kognitive, edukative („aufklären“ und Informationen geben), paartherapeutische und psychodynamische Elemente. Sexualtherapie lege artis ist jedoch alles andere als ein „Technikmix“, sondern verwendet diese Komponenten gezielt und überlegt im Rahmen einer psychotherapeutischen Gesamtstrategie.
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