Durch das Ende der 60er-Jahre beginnende sexuelle Liberalisierung und Aufklärung und die damit verbundene Enttabuisierung der Sexualsphäre kommt der Sexualpathologie ein wachsender Stellenwert in der heutigen Medizin zu [6]. Nach einer Untersuchung von Sulke/Schroer [12] sollen etwa 120000 Patienten in der BRD pro Quartal einen Arzt wegen einer Störung der erektilen Funktion aufsuchen. Sieht man eine gelegentliche Funktionsstörung der Erektion noch nicht als krankhaften, behandlungsbedürftigen Befund an, so versteht man unter einer erektilen Dysfunktion (ED) die Unfähigkeit, in der überwiegenden Zahl der Versuche eine Erektion zu bekommen oder beizubehalten, die stark und andauernd genug für die Durchführung des Geschlechtsverkehrs ist [8, 9]. Finkle et al. [4, 5] definierten erektile Potenz als die Fähigkeit, den Wunsch nach sexuellem Verkehr in eine penile Erektion umwandeln zu können, die stark genug zur Durchführung eines befriedigenden Geschlechtsverkehrs ist. Aufgrund der besonderen Charakteristika der erektilen Dysfunktion als eine dem Intimbereich zugeordnete, passager oder permanent auftretende Funktionsstörung ohne obligate Erkennungssymptomatik für das soziale Umfeld [11] existieren lediglich wenige epidemiologische Daten. Nach Epple [3] findet man bei schätzungsweise 2–4 Mio. Bundesbürgern im fortpflanzungsfähigen Alter eine solche Störung. Eine andere Quelle spricht gar von 3 bis 7 Mio. betroffenen Männern in der Bundesrepublik Deutschland [11]. Angegeben wurde auch eine im Vergleich zur koronaren Herzkrankheit doppelt so hohe Inzidenzrate therapiebedürftiger erektiler Dysfunktionen (zitiert nach [11]). In den USA sollen mehr als 10 % der erwachsenden männlichen Bevölkerung ohne Altersberücksichtigung an Erektionsstörungen leiden.
Bereits Kinsey et al. publizierten 1948 [7] eine Zunahme der erektilen Dysfunktion mit steigendem Lebensalter. Dies unterstreicht erneut die Bedeutung der Diagnostik und Therapie von sexuellen Störungen in den westlichen Industriegesellschaften, die sich durch eine Umkehrung der Alterspyramide und durch eine zunehmende Lebenserwartung mit einem steigenden Anteil alter Menschen auszeichnen [10]. Bowers et al. [2] konnten in ihren Untersuchungen an 157 Männern zwischen 60 und 74 Jahren ebenfalls zeigen, dass die Inzidenz von Erektionsstörungen kontinuierlich von 30070 auf 60 % mit zunehmendem Alter anstieg. Dies legt den Schluss nahe, die erektile Dysfunktion mit zunehmendem Lebensalter als Teil eines physiologischen Alterungsprozesses zu sehen. Andererseits konnten Bowers et al. [2] zeigen, dass bei potenten Männern mit zunehmendem Lebensalter keine Abnahme der sexuellen Aktivität zu verzeichnen war (mittlere Koitusfrequenz ca. 20-mal pro Jahr). Auch war nach ihren Untersuchungen die Impotenzrate unabhängig vom körperlichen Allgemeinzustand der jeweils untersuchten Probanden. Die Aufrechterhaltung eines aktiven Sexuallebens stellt somit auch für Glück und Zufriedenheit des altern den Menschen einen wichtigen Faktor dar. Uber 90 % der verheirateten Männer zwischen 60 und 65 Jahren und über 70 % zwischen 65 und 70 Jahren haben noch sexuelle Beziehungen [14]. Ubereinstimmend scheint die Inzidenzrate der erektilen Dysfunktion jedoch stark am Ende der 6. Lebensdekade zuzunehmen. Eine Ubersicht über die in der Literatur publizierten Inzidenzraten erektiler Dysfunktionen gibt Tabelle 1.1 wieder.
Literatur
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Baltimore longitudinal study of aging, entnommen aus USN & WR (1989)
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Bowers M, Cross RR, Lloyd FA (1963) Sexual function and urologic disease in the elderly male. JAm Geriat Soc 11: 647-652
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Epple W (1989) Erektile Impotenz, Diagnostik und Möglichkeiten der Therapie für Allgemeinärzte und Spezialisten. Allgemeinarzt 16: 1052-1056
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Finkle AL, Moyers TO, Thbenkin MI, Karg SJ (1959) Sexual potency in aging males. Frequency of coitus among clinic patients. JAMA 170: 1391-1393
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Finkle AL, Prian DV (1966) Sexual potency in elderly men before and after Prostatectomy. JAMA 19612: 139-143
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Haeberle EJ (1985) Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas, 2. erw. Aufl. de Gruyter, Berlin
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Kinsey AC, Pomeroy WB, Martin CE (eds) (1953) Sexual behavior in the human male. Saunders, Philadelphia
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Levine LA (1989) Erectile dysfunction: causes, diagnosis and treatment. Compr Ther 15: 54-58
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Masters WH, Johnson VE, Kolodny RC (1987) Masters und Johnson, Liebe und Sexualität
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deutsche Aufl., Ullstein, Berlin to. München, M (1991) Die Schwellkörperautoinjektionstherapie (SKAT): Indikation, Ergebnisse und Patientenakzeptanz. Inauguraldissertation
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Porst H, Ebeling L (1989) Erektile Dysfunktion: Obersicht und aktueller Stand von Diagnostik und Therapie. In: Fortschr Med 3: 2-6
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Sulke J, Schroer B (1989) Schwellkörper-Autoinjektionstherapie: Potenz um jeden Preis? Dtsch Med Wochenschr 114: 231-234
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Virag R (1985) Is impotence an arterial disorder? Lancet 19: 181-184
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Zohar J, Meiraz D, Maoz B, Durst N (1976) Factors influencing sexual activity after prostatectomy: a prospective study. J Urol 116: 332-334
Autor: H. Derouet